Innovationskultur in der digitalen Gesellschaft „Internet & Gesellschaft Co:llaboratory“ stellt Expertenbericht vor
1. Juli 2010 | Donnerstag, Juli 01, 2010
Digitale Technologien und das Internet sind Motor für Innovation und Entwicklung der Gesellschaft. Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ist die IT- und Telekommunikationsbranche nicht nur der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland sondern auch die wichtigste Quelle für Produktivitätswachstum in der EU. Gleichzeitig stellt die “digitale Revolution” Bürger und Staat vor grundlegend neue Herausforderungen und verlangt eine Anpassung der politischen und sozialen Rahmenbedingungen. In seinem ersten Bericht gibt das “Co:llaboratory”, über das wir an dieser Stelle bereits berichtet haben, einen Überblick über das Stimmungsbild zu verschiedenen Aspekten der Internet-Innovationskultur. Es stellt Handlungsoptionen für verschiedene Entscheidungsträger vor und arbeitet mit den Beteiligten aktiv und nachhaltig an Lösungen. Klickt hier um den Bericht runterzuladen.
Die Ergebnisse des Berichts basieren auf einer Umfrage unter mehr als 530 Experten und Netzbürgern und wurden auf Grundlage von 2.300 qualitativen Statements erarbeitet. Martin G. Löhe, Politikwissenschaftler und Mitglied des “Co:llaboratory”-Lenkungskreises: „Die Netzbürger wollen an der Debatte und der Gestaltung der Digitalen Gesellschaft in Deutschland teilnehmen, wir sollten ihre Kenntnisse und Meinungen nutzbar machen. Sie bergen enorme Potentiale für die Innovationskraft und die gesellschaftspolitische Entwicklung in Deutschland. Mit dem “Co:llaboratory” wollen wir dazu einen Beitrag leisten und eine Plattform, eine offene ‚Community of Practice‘ schaffen.”
Die Debatte über die Ergebnisse sowie künftiger Themenschwerpunkte ist ab sofort auch auf YouTube eröffnet. Moderiert und betrieben wird der Kanal auf www.youtube.com/Collaboratory von Politik Digital e.V. als Medienpartner. Politik-digital-Geschäftsführer Stefan Gehrke betont: “„Als Deutschlands führende Plattform zum Thema Internet und Politik freuen wir uns über
die Zusammenarbeit mit diesem beeindruckenden Expertenkreis. Unser gemeinsamer YouTube-Kanal ist ein ideales Medium, um die Arbeit des "Co:llaboratory" unabhängig zu dokumentieren und so eine breite Debatte in der Netzgemeinde anzustoßen."
Positionen und Empfehlungen des Abschlussberichts:
Internet Governance und Standardisierung: Das “Co:llaboratory” befürwortet eine regional-global gemischte Selbstregulierung des Internets und hält diese Strategie auch für am ehesten umsetzbar. Ausgehend von global gültigen Mindeststandards sollten diese Raum für kulturelle, nationale und gruppenspezifische Besonderheiten lassen. Bei der Setzung von Standards wurden sowohl marktliberale als auch staatlich-regulatorische Ansätze vertreten. Insgesamt zeigte sich jedoch eine Präferenz für die bislang als erfolgreich empfundene Selbstregulierung des Internets.
Datenschutz und Arbeitsumfeld: Eine große Mehrheit der Befragten sieht die Digitalisierung und Bündelung persönlicher Daten im Internet kritisch. Die anonyme Nutzung des Internets wird mehrheitlich als unverzichtbares Grundprinzip des Internets eingestuft. Insbesondere die Privatwirtschaft aber auch staatliche Stellen werden zu Datensparsamkeit aufgefordert. Im Zweifelsfall müsse gelten: pro Privatsphäre. Vom Grundsatz her wird ein “Opt-In” für den Datenschutz gefordert. Der Staat müsse einen funktionierenden Regelungsrahmen schaffen und seinen Bürgern Werkzeuge an die Hand geben, damit sie auf den Missbrauch ihrer Daten reagieren können.
In der Arbeitswelt empfiehlt der Expertenkreis, Internet- und IT-Innovationen stärker zu fördern. Zugleich sollten zum Schutz von Arbeitnehmern vor übermäßiger Überwachung durch ihre Arbeitgeber sowohl das gesetzliche Regelwerk ausgearbeitet als auch innerbetriebliche Prüfungen und Vereinbarungen zum Arbeitnehmerdatenschutz in Betracht gezogen werden.
Medienkompetenz und Demokratie
: Mehrheitlich schreiben die Befragten dem Internet sowie internet-basierten Innovationen positive Effekte auf die Chancengleichheit in der Gesellschaft zu. Deshalb müssen Medienkompetenz gestärkt und Zugangshürden abgebaut werden, um Tendenzen der digitalen Spaltung („Digital Divide“) zu begegnen und alle Bevölkerungsteile gleichermaßen an der Wissensgesellschaft teilhaben zu lassen. Empfohlen werden informelle Bildungsinitiativen zur Vermittlung von Medienkompetenz sowie der Auf- und Ausbau spezieller Fortbildungsangebote. Zudem müsse der Zugang zum Internet in die Berechnungsgrundlage für die ALG-II-Sätze einfließen.
Traditionelle Schwachpunkte der demokratischen Gesellschaftsordnung könnten in der Online-Welt abgebaut werden. Neue Formen der Kommunikation im Netz könnten dabei zweierlei bewirken: 1. sie gleichen Schwächen der Massenmedien als demokratische Kontrollinstanz aus, 2. sie erleichtern Teilhabe und Engagement der Bürger in der Parteiendemokratie. Die Experten empfehlen, eDemocracy und eParticipation durch Online-Beteiligungsplattformen weiter zu stärken. Innovative Ansätze sollten in Pilotversuchen erprobt und bei Erfolg schneller verbreitet werden. Staatliche Institutionen sollten öffentliche Informationen leichter zugänglich machen.
Rechtsrahmen und geistiges Eigentum
: Rund zwei Drittel der Befragten halten mit Blick auf die Innovationskraft des Internet eine Veränderung des bestehenden Rechtsrahmens zum geistigen Eigentum für erforderlich. Zentrale Bedeutung habe dabei das Urheber- und Patentrecht. Der Schutz geistiger Leistungen wird als sehr wichtig eingestuft, dennoch leide das aktuelle Urheberrecht unter einem Mangel an Ausgewogenheit, zugunsten der Verwertungsindustrie und zulasten von Urhebern und Internetnutzern. Statt einer Reform fordern viele Experten und Befragte ein von Grund auf neu geschriebenes Urheberrechtsgesetz. Vor- und Nachteile zusätzlicher Pauschalsysteme (z.B. Kulturflatrate) oder Urheberrechtsschranken müssten intensiver diskutiert werden. Alle mit öffentlichen Mitteln entstandenen Werke und Daten sollten von Beginn an gemeinfrei sein.
Der Lenkungsausschuss des “Co:llaboratory” ruft relevante Akteursgruppen und weitere interessierte Träger auf, sich an der Debatte zu beteiligen und so die neue offene Diskussionsplattform weiter zu etablieren.
Post von Dr. Max Senges, Google Policy Team